Von Carol S und Joerg S.

Warum scheitern so viele Neueinstellungen, obwohl die Kandidaten fachlich perfekt qualifiziert waren?

Viele Personalabteilungen dieser Welt machen einen fundamentalen Fehler. Tag für Tag, Interview für Interview, Entscheidung für Entscheidung. Sie fokussieren sich auf das Falsche und wundern sich dann, warum so viele Neueinstellungen missglücken, Teams nicht funktionieren und Mitarbeiter nach kurzer Zeit wieder das Unternehmen verlassen. Die Lösung liegt im PEEC-Ansatz – einem ganzheitlichen Bewertungsmodell, das vier gleichwertige Säulen umfasst: Personality, Execution, Expertise/Experience und Cultural Fit.

Das Dilemma der traditionellen Personalbeschaffung

In den meisten Unternehmen läuft die Personalauswahl nach einem bewährten, aber veralteten Muster ab. Zuerst wird der Lebenslauf gescannt – welche Abschlüsse, welche Zertifikate, welche Berufserfahrung bringt der Kandidat mit? Dann folgt das fachliche Interview, in dem Expertenwissen abgefragt wird. Stimmen die harten Fakten, ist die Entscheidung oft schon gefallen. Die Persönlichkeit wird bestenfalls oberflächlich betrachtet, die Umsetzungsfähigkeit bleibt meist ungetestet, und der Cultural Fit wird als „nice to have“ abgetan.

Diese einseitige Fokussierung auf Expertise und Erfahrung führt zu einer dramatischen Fehleinschätzung. Studien zeigen, dass bis zu 40 Prozent aller Neueinstellungen innerhalb der ersten 18 Monate scheitern – nicht etwa, weil die fachlichen Qualifikationen nicht stimmen, sondern weil die anderen drei Dimensionen vernachlässigt wurden.

Expertise ist nur ein Viertel der Wahrheit

Fachliche Kompetenz ist zweifellos wichtig, aber sie ist nur eine von vier entscheidenden Säulen erfolgreicher Personalentscheidungen. Ein brillanter Softwareentwickler, der zwar jede Programmiersprache beherrscht, aber nicht im Team arbeiten kann, wird ein Projekt zum Scheitern bringen. Ein erfahrener Vertriebsleiter, der zwar alle Verkaufstechniken kennt, aber die Unternehmenskultur mit Füßen tritt, wird mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen.

Das Problem liegt in der Messbarkeit. Abschlüsse, Zertifikate und Berufsjahre lassen sich einfach quantifizieren und vergleichen. Sie geben Personalverantwortlichen ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Doch diese scheinbare Objektivität täuscht über die Komplexität menschlicher Arbeitsleistung hinweg.

Personality – Die unterschätzte Kraft der Persönlichkeit

Die Persönlichkeit eines Menschen bestimmt maßgeblich, wie er/sie mit Herausforderungen umgeht, wie er/sie kommuniziert und wie er/sie sich in verschiedenen Situationen verhält. Persönlichkeitseigenschaften wie Resilienz, Empathie, Offenheit für Veränderungen oder die Fähigkeit zur Selbstreflexion sind oft entscheidender für den Erfolg als fachliches Wissen.

Ein Mitarbeiter mit einer positiven Grundeinstellung und hoher emotionaler Intelligenz wird auch in schwierigen Zeiten das Team motivieren und Lösungen finden. Jemand, der von Natur aus neugierig und lernbereit ist, wird sich schnell in neue Fachgebiete einarbeiten und mit dem Unternehmen wachsen. Umgekehrt kann eine Person mit problematischen Persönlichkeitszügen – etwa mangelnder Kritikfähigkeit oder ausgeprägtem Ego – selbst bei hervorragender fachlicher Qualifikation das gesamte Arbeitsklima vergiften.

Die Persönlichkeit zeigt sich besonders in den Bereichen, die Menschen wirklich leidenschaftlich verfolgen. Wer in seiner Freizeit komplexe Bergtouren plant und durchführt, demonstriert Ausdauer, Planungsfähigkeit und Risikobereitschaft. Jemand, der sich ehrenamtlich für soziale Projekte engagiert, bringt Empathie und Verantwortungsbewusstsein mit. Ein Hobbykoch, der gerne für Freunde experimentiert, zeigt Kreativität und Serviceorientierung.

Diese authentischen Persönlichkeitsmerkmale sind weitaus aussagekräftiger als jeder standardisierte Test. Sie entstehen aus intrinsischer Motivation und spiegeln die wahren Werte und Antriebe eines Menschen wider. Ein Kandidat, der in seiner Freizeit ein Musikinstrument lernt, beweist Disziplin und Durchhaltevermögen. Wer regelmäßig an Marathons teilnimmt, bringt Zielstrebigkeit und mentale Stärke mit.

Die Persönlichkeit lässt sich nicht einfach ändern oder trainieren. Sie ist relativ stabil und beeinflusst alle anderen Bereiche der Arbeitsleistung. Deshalb sollte sie bei der Personalauswahl einen zentralen Stellenwert einnehmen.

Execution – Von der Theorie zur Praxis

Wissen zu haben ist eine Sache, es auch umzusetzen eine völlig andere. Der Execution-Faktor misst die Fähigkeit, Pläne in die Tat umzusetzen, Projekte voranzutreiben und Ergebnisse zu liefern. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen.

Viele Kandidaten glänzen im Gespräch mit theoretischem Wissen, scheitern aber, wenn es darum geht, dieses Wissen in konkrete Handlungen zu übersetzen. Sie sind Perfektionisten, die ewig planen, aber nie ins Handeln kommen. Oder sie sind Visionäre, die große Ideen haben, aber an der praktischen Umsetzung scheitern.

Ein Mitarbeiter mit hoher Execution-Fähigkeit hingegen findet pragmatische Lösungen, treibt Projekte voran und sorgt dafür, dass aus Ideen Realität wird. Er ist fokussiert, ergebnisorientiert und lässt sich nicht von Hindernissen entmutigen. Diese Eigenschaft ist besonders in schnelllebigen Arbeitsumgebungen und bei Start-ups entscheidend, wo es weniger auf perfekte Theorien als auf schnelle, praktikable Lösungen ankommt.

Cultural Fit – Die unsichtbare Kraft des Zusammenhalts

Der Cultural Fit beschreibt, wie gut ein Mitarbeiter zu den Werten, Normen und der Arbeitsweise eines Unternehmens passt. Diese Dimension wird oft unterschätzt, obwohl sie maßgeblich über Zufriedenheit, Produktivität und Verbleib im Unternehmen entscheidet.

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein hochqualifizierter Finanzexperte wechselt von einem traditionellen Konzern zu einem jungen Tech-Start-up. Fachlich ist er allen anderen überlegen, doch er kommt mit der lockeren Kommunikationskultur, den flachen Hierarchien und der schnellen Entscheidungsfindung nicht zurecht. Seine Arbeitsweise kollidiert permanent mit den Unternehmensabläufen. Das Ergebnis: Frustration auf beiden Seiten und letztendlich die Trennung.

Umgekehrt kann ein fachlich weniger erfahrener Mitarbeiter, der perfekt zur Unternehmenskultur passt, deutlich mehr zum Erfolg beitragen. Er fügt sich nahtlos ins Team ein, lebt die Unternehmenswerte vor und wird schnell zu einem wichtigen Kulturträger. Seine fachlichen Defizite lassen sich durch Weiterbildung ausgleichen, seine kulturelle Passung hingegen ist unbezahlbar.

Cultural Fit manifestiert sich in vielen subtilen Aspekten. Wie kommuniziert jemand? Bevorzugt er/sie direkte oder diplomatische Ansprache? Wie geht er/sie mit Feedback um? Arbeitet er/sie lieber eigenständig oder im Team? Diese Präferenzen sind oft tief in der Persönlichkeit verwurzelt und lassen sich nur schwer ändern.

Ein Unternehmen mit einer Kultur der kontinuierlichen Innovation braucht Mitarbeiter, die Veränderungen nicht nur akzeptieren, sondern aktiv vorantreiben. Eine Organisation, die Wert auf Work-Life-Balance legt, wird mit jemandem Probleme haben, der ausschließlich karriereorientiert denkt. Ein Familienunternehmen mit langfristiger Ausrichtung passt nicht zu einem Kandidaten, der alle zwei Jahre den Job wechselt.

Der Cultural Fit ist besonders wichtig, weil er sich auf das gesamte Team auswirkt. Ein Mitarbeiter, der nicht zu den Unternehmenswerten passt, kann die Atmosphäre nachhaltig beeinträchtigen und andere demotivieren. Umgekehrt verstärkt ein kulturell passender Mitarbeiter die positiven Aspekte der Unternehmenskultur und trägt zu einem besseren Arbeitsklima bei.

Die Synergieeffekte des PEEC-Ansatzes

Die wahre Stärke des PEEC-Ansatzes liegt in der Betrachtung aller vier Dimensionen als gleichwertige und sich ergänzende Faktoren. Ein Kandidat, der in allen vier Bereichen überzeugt, wird nicht nur erfolgreich sein, sondern auch positive Effekte auf das gesamte Team haben.

Diese ganzheitliche Betrachtung führt zu besseren Personalentscheidungen, geringeren Fluktuationsraten und höherer Mitarbeiterzufriedenheit. Teams werden harmonischer, produktiver und innovativer. Das Unternehmen entwickelt eine stärkere Kultur und eine klarere Identität.

Praktische Umsetzung im Bewerbungsprozess

Die Implementierung des PEEC-Ansatzes erfordert eine grundlegende Neuausrichtung der Bewerbungsprozesse. Statt nur nach fachlicher Qualifikation zu suchen, müssen Unternehmen kreative Methoden entwickeln, um alle vier Dimensionen authentisch zu bewerten.

Für die Persönlichkeitsbewertung haben sich innovative Gesprächstechniken als besonders aufschlussreich erwiesen. Statt standardisierter Tests sollten Personaler nach den wahren Leidenschaften und Identitätsmerkmalen der Kandidaten fragen. Gespräche über Hobbys, Freizeitaktivitäten und persönliche Projekte offenbaren oft mehr über die Persönlichkeit als jeder Fragebogen.

Fragen wie „Erzähl mir doch mal von einem Projekt, das du in deiner Freizeit verwirklicht hast“ oder „Was machst du, wenn du abends oder am Wochenende Zeit für dich hast?“ enthüllen intrinsische Motivationen und Charakterzüge. Wer in seiner Freizeit ein altes Motorrad restauriert, zeigt Geduld, technisches Verständnis und Detailgenauigkeit. Jemand, der regelmäßig Reisen in unbekannte Länder plant, bringt Offenheit, Risikobereitschaft und Anpassungsfähigkeit mit.

Besonders wertvoll sind Geschichten über Herausforderungen und Rückschläge im privaten Bereich. Wie ist jemand mit einer schwierigen Situation umgegangen? Welche Strategien hat er entwickelt? Diese Erzählungen zeigen Problemlösungskompetenzen, Resilienz und emotionale Intelligenz weit authentischer als hypothetische Situationen.

Die Execution-Fähigkeit lässt sich durch praktische Mini-Projekte, Simulationen und detaillierte Referenzen früherer Projekte ermitteln. Hier geht es darum, konkrete Beispiele für die Umsetzung von Ideen zu finden.

Der Cultural Fit wird durch tiefgehende Gespräche über Werte, Arbeitsphilosophie und Zukunftsvorstellungen deutlich. Wichtig ist dabei, nicht nur die Unternehmenskultur zu erklären, sondern auch herauszufinden, was dem Kandidaten wichtig ist und wie er sich seine ideale Arbeitsumgebung vorstellt.

Ein Paradigmenwechsel mit weitreichenden Folgen

Der PEEC-Ansatz stellt einen fundamentalen Paradigmenwechsel in der Personalarbeit dar. Er erfordert Mut, etablierte Prozesse zu hinterfragen und neue Wege zu gehen. Unternehmen, die diesen Wandel vollziehen, werden jedoch mit besseren Teams, zufriedeneren Mitarbeitern und letztendlich größerem Erfolg belohnt.

Die Zeit der einseitigen Fokussierung auf Expertise und Erfahrung ist vorbei. Die Zukunft gehört einem ganzheitlichen Ansatz, der den Menschen in seiner Gesamtheit betrachtet und alle Facetten seiner Persönlichkeit und Fähigkeiten würdigt. Nur so können Unternehmen in einer immer komplexeren und schnelllebigeren Arbeitswelt bestehen und erfolgreich sein.

Seid ihr bereit, euren Hiring-Prozess grundlegend zu überdenken und dabei vielleicht den perfekten Mitarbeiter zu finden, den ihr bisher übersehen habt?