Von Joerg S.
Wie konnte es passieren, dass eine der erfolgreichsten Industrien Deutschlands, ein Symbol für Ingenieurskunst und technologische Exzellenz, innerhalb weniger Jahre von einem selbstbewussten Weltmarktführer zu einem zögerlichen Nachzügler wurde, der den Anschluss an die Zukunft zu verpassen droht?
Die deutsche Automobilindustrie steht an einem Scheideweg. Was über ein Jahrhundert lang als unerschütterliche Säule der deutschen Wirtschaft galt, befindet sich in der größten Umbruchphase ihrer Geschichte. Die Transformation von Verbrennungsmotoren zu Elektroantrieben, von mechanischen Maschinen zu softwaredefinierten Fahrzeugen, von Produktverkauf zu Mobilitätsdienstleistungen – all diese Veränderungen geschehen gleichzeitig und stellen die etablierten Geschäftsmodelle fundamental in Frage. Die Zukunft ist offen, und drei grundlegend unterschiedliche Szenarien erscheinen möglich.
Szenario 1: Der schleichende Bedeutungsverlust
Im ersten Szenario verliert die deutsche Automobilindustrie kontinuierlich an Bedeutung und wird zu einem Randakteur in einem von anderen dominierten globalen Markt. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig und wurzeln in strukturellen Problemen, die sich über Jahre aufgebaut haben.
Der fundamentalste Grund ist die Unterschätzung der Geschwindigkeit und Tiefe der Elektrifizierung. Während deutsche Hersteller lange auf die Überlegenheit ihrer Verbrennertechnologie setzten und Elektromobilität als Nischenprodukt abtaten, haben Wettbewerber aus China und den USA massiv in diese Technologie investiert. Tesla bewies bereits vor über einem Jahrzehnt, dass Elektroautos nicht nur umweltfreundlich, sondern auch leistungsstark, begehrenswert und profitabel sein können. Deutsche Hersteller reagierten zunächst mit Skepsis, dann mit halbherzigen Elektromodellen, die oft als umgebaute Verbrenner wirkten, nicht als Neukonzeptionen.
Diese Verzögerung hat fatale Konsequenzen. Chinesische Hersteller wie BYD haben nicht nur in der Batterietechnologie, sondern im gesamten elektrischen Antriebsstrang massive Vorsprünge aufgebaut. BYD produziert eigene Batteriezellen, Elektromotoren, Leistungselektronik und Ladesysteme – eine vertikale Integration, die deutsche Hersteller nicht annähernd erreichen. Die Abhängigkeit von Zulieferern, die selbst oft aus Asien stammen, macht deutsche Hersteller verwundbar und kostenintensiv.
Hinzu kommt die Software-Krise. Moderne Fahrzeuge sind rollende Computer, bei denen Software über Wettbewerbsfähigkeit entscheidet. Während Tesla Over-the-Air-Updates schon seit Jahren nutzt und chinesische Hersteller hochintegrierte Infotainmentsysteme mit KI-Funktionen anbieten, kämpfen deutsche Hersteller mit verzögerten Softwareprojekten, Bugs und unausgereiften Systemen. Die Cariad-Probleme bei Volkswagen sind symptomatisch für eine Industrie, die Software lange als nachgelagerte Funktion betrachtete, nicht als Kernkompetenz.
Die globale Wettbewerbssituation verschärft dieses Szenario. China hat sich nicht nur zum größten Automarkt der Welt entwickelt, sondern auch zum führenden Produzenten von Elektrofahrzeugen. Mit staatlicher Unterstützung, riesigen Heimatmärkten und aggressiver Expansionsstrategie drängen chinesische Hersteller auf europäische Märkte. Ihre Fahrzeuge sind oft technologisch überlegen, deutlich günstiger und besser auf die Bedürfnisse jüngerer, digital-affiner Käufer zugeschnitten. In diesem Szenario werden deutsche Marken zu Premium-Nischenanbietern, die zwar noch für traditionelle Käufer attraktiv sind, aber den Massenmarkt an kostengünstigere, innovativere Wettbewerber verlieren.
Auch in anderen Märkten wächst der Druck. Südkoreanische Hersteller wie Hyundai und Kia haben mit mutigen Designs, langen Garantien und überzeugenden Elektromodellen ihre Position gestärkt. Japanische Hersteller, die ebenfalls lange auf Hybridtechnologie setzten, schwenken nun massiv um und investieren Milliarden in Elektrifizierung und Batterieproduktion. Selbst in den USA, traditionell ein Markt für große Verbrenner, wächst der Elektroanteil rasant, getrieben durch Tesla, aber zunehmend auch durch etablierte Hersteller wie Ford und GM, die ihre Elektrostrategien beschleunigen.
In diesem Szenario schrumpft der Marktanteil deutscher Hersteller kontinuierlich. Arbeitsplätze gehen verloren, nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Entwicklung, weil die Wertschöpfung zunehmend außerhalb Deutschlands stattfindet. Die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen wären dramatisch für ein Land, in dem die Automobilindustrie direkt und indirekt Millionen Menschen beschäftigt und einen erheblichen Teil der Wirtschaftsleistung ausmacht.
Szenario 2: Konzentration und Konsolidierung
Das zweite Szenario ist weniger drastisch, aber nicht weniger transformativ: Die deutsche Automobilindustrie überlebt, aber in deutlich konzentrierterer Form. Dieses Szenario basiert auf der Erkenntnis, dass nicht alle aktuellen Hersteller die massiven Investitionen stemmen können, die für die Transformation notwendig sind.
Die Entwicklung eines wettbewerbsfähigen Elektroautos erfordert Milliarden-Investitionen in Batterietechnologie, Elektromotoren, Leistungselektronik und vor allem Software. Gleichzeitig müssen bestehende Verbrenner-Produktionen am Laufen gehalten werden, solange noch Nachfrage besteht. Diese Doppelbelastung überfordert kleinere und mittlere Hersteller (insbesondere auch Zulieferer). In diesem Szenario kommt es zu Fusionen, Übernahmen und strategischen Allianzen.
Kleinere deutsche Premiumhersteller könnten in größeren Konzernen aufgehen oder als Nischenmarken für spezifische Segmente positioniert werden. Die Notwendigkeit dafür ergibt sich aus den Skaleneffekten der Batterieproduktion und Softwareentwicklung. Eine moderne Fahrzeug-Software-Plattform kostet Milliarden in der Entwicklung, amortisiert sich aber nur über Millionen produzierte Fahrzeuge. Wer nicht die nötigen Stückzahlen erreicht, kann nicht kosteneffizient entwickeln.
Dieses Szenario sieht auch verstärkte Kooperationen mit Tech-Unternehmen. Deutsche Hersteller könnten ihre Hardware-Expertise mit der Software-Kompetenz von Technologiekonzernen kombinieren. Joint Ventures in der Batterieproduktion, gemeinsame Entwicklung autonomer Fahrsysteme und geteilte Mobilitätsplattformen würden die Landschaft prägen.
Die Konzentration hätte auch geographische Dimensionen. Produktionsstandorte würden konsolidiert, Forschungs- und Entwicklungszentren gebündelt. Deutschland würde möglicherweise als Entwicklungs- und Engineering-Hub erhalten bleiben, während Massenproduktion verstärkt in kostengünstigeren Ländern stattfindet. Die Beschäftigung in der Automobilindustrie würde sich verändern: weniger Produktionsmitarbeiter, mehr Software-Entwickler, Datenanalysten und Ingenieure für elektrische Antriebe.
In diesem Szenario bleibt die deutsche Automobilindustrie relevant, aber sie ist kleiner, spezialisierter und stärker in internationale Allianzen eingebunden. Der Verlust von Unabhängigkeit und die Aufgabe traditioneller Strukturen wären schmerzhafte, aber notwendige Anpassungen an eine veränderte Realität.
Szenario 3: Phoenix aus der Asche – die Neuerfindung
Das optimistische dritte Szenario sieht eine fundamentale Neuerfindung der deutschen Automobilindustrie, bei der sie ihre traditionellen Stärken nutzt, aber gleichzeitig radikal neue Wege geht. Dieses Szenario ist möglich, aber erfordert beispiellose Veränderungsbereitschaft und massive, koordinierte Anstrengungen.
Die Grundlage dieses Szenarios ist die Rückbesinnung auf das, was deutsche Ingenieurskunst historisch auszeichnete: der kompromisslose Drang nach technischer Exzellenz, die Bereitschaft zu langfristigen Investitionen in Innovation, und die Fähigkeit, komplexe Systeme zu beherrschen. Elektrofahrzeuge mögen einfacher in der Grundkonstruktion sein als Verbrenner, aber die Integration von Batteriemanagement, Leistungselektronik, Wärmemanagement, Software und autonomen Systemen ist hochkomplex. Hier könnten deutsche Ingenieure ihre Stärken ausspielen.
In diesem Szenario investieren deutsche Hersteller massiv in eigene Batterieproduktion und -entwicklung. Statt sich vollständig auf asiatische Zulieferer zu verlassen, entstehen europäische Gigafactories mit innovativen Batteriechemien, die Reichweite, Ladegeschwindigkeit und Nachhaltigkeit verbessern. Feststoffbatterien, die seit Jahren versprochen werden, könnten hier zum Durchbruch kommen und einen technologischen Vorsprung schaffen.
Die Software-Herausforderung wird durch radikale Ansätze gelöst: Deutsche Hersteller rekrutieren weltweit Top-Talente mit attraktiven Bedingungen, schaffen agile Entwicklungsstrukturen losgelöst von traditionellen Konzernhierarchien, und kooperieren eng mit führenden Technologieunternehmen. Die Integration von Künstlicher Intelligenz wird zur Kernkompetenz – von optimiertem Energiemanagement über prädiktive Wartung bis zu fortgeschrittenen Assistenzsystemen.
Entscheidend in diesem Szenario ist auch die Neukonzeption des Geschäftsmodells. Deutsche Hersteller gehen über den reinen Fahrzeugverkauf hinaus und entwickeln integrierte Mobilitätsökosysteme. Das Auto wird zur Plattform für Dienstleistungen: von nahtloser Ladeinfrastruktur über intelligente Energiemanagementsysteme, die das Fahrzeug als Stromspeicher nutzen, bis zu integrierten Mobilitätsdiensten, die verschiedene Verkehrsträger verbinden.
In diesem positiven Szenario nutzt Deutschland auch seine Stärke in der Industrieproduktion und Automatisierung. Deutsche Fabriken werden zu Vorzeigebeispielen für nachhaltige, hochautomatisierte Produktion von Elektrofahrzeugen. Kreislaufwirtschaft wird integriert: Batterien werden recycelt, Materialien wiederverwendet, und die CO2-Bilanz über den gesamten Lebenszyklus optimiert.
Die Zusammenarbeit zwischen Industrie, Politik und Forschung wird intensiviert. Massive Investitionen in Ladeinfrastruktur, Netzausbau und Forschungsförderung schaffen die Rahmenbedingungen für den Erfolg. Regulatorische Hindernisse werden abgebaut, und Deutschland positioniert sich als Leitmarkt für nachhaltige Mobilität.
Das gescheiterte Geschäftsmodell: Warum 100 Jahre Stillstand?
Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass das Grundgeschäftsmodell der deutschen Automobilindustrie seit über einem Jahrhundert erstaunlich stabil geblieben ist: vier Räder, eine Karosserie, ein Motor – verkauft als Produkt an Endkunden. Sicherlich gab es massive technologische Entwicklungen: von Vergaser zu Einspritzung, von mechanischen zu elektronischen Systemen, von einfachen Sicherheitsgurten zu komplexen Assistenzsystemen. Aber das fundamentale Geschäftsmodell blieb unverändert.
Diese Kontinuität war lange ein Vorteil. Deutsche Hersteller perfektionierten die Ingenieurskunst des Fahrzeugbaus, schufen legendäre Marken und dominierten Premiumsegmente weltweit. Doch genau diese Erfolgsgeschichte wurde zur Falle. Warum ein funktionierendes Geschäftsmodell radikal verändern, wenn es seit Jahrzehnten profitabel ist?
Tesla und chinesische Hersteller wie BYD gehen fundamental anders vor. Tesla verstand sich nie primär als Autohersteller, sondern als Technologieunternehmen, das zufällig Autos baut. Das Geschäftsmodell umfasst den Verkauf von Fahrzeugen, aber auch Software-Updates als Service, Energielösungen (Solaranlagen, Batteriespeicher), Ladeinfrastruktur, und potenziell in Zukunft autonome Robotaxi-Dienste. Das Auto ist Plattform, nicht Endprodukt.
BYD, ursprünglich ein Batteriehersteller, integrierte vertikal vom Rohstoff über die Batteriezelle bis zum fertigen Fahrzeug. Die Kernkompetenz liegt in der Elektrochemie und Fertigung, nicht in der traditionellen Fahrzeugentwicklung. Dies ermöglicht Kostenvorteile und Innovationsgeschwindigkeit, die traditionelle Hersteller nicht erreichen.
Deutsche Hersteller versuchten durchaus, neue Geschäftsmodelle zu etablieren. Daimlers moovel sollte verschiedene Mobilitätsdienste bündeln und eine App-basierte, multimodale Mobilität ermöglichen – car-sharing, bike-sharing, öffentlicher Verkehr, alles integriert. Das Konzept war vorausschauend und hätte Deutschland zum Vorreiter in Mobility-as-a-Service (MaaS) machen können. Doch moovel scheiterte aus mehreren Gründen: unzureichende Investitionen im Vergleich zu Tech-Start-ups, organisatorische Einbettung in traditionelle Konzernstrukturen, fehlende Agilität, und letztlich auch mangelnder Wille, das lukrative Kerngeschäft zu kannibalisieren.
Hier liegt ein Kernproblem: Innovationen, die das bestehende Geschäftsmodell bedrohen, werden intern sabotiert oder halbherzig verfolgt. Solange SUVs und Limousinen mit Verbrennungsmotoren hohe Margen abwerfen, fehlt der Anreiz für radikale Transformation. Diese „Innovator’s Dilemma“ ist in etablierten Industrien bekannt aber nirgends so ausgeprägt wie in der Automobilindustrie.
Die eMobilität: Notwendigkeit und Alternativlosigkeit
Die Elektrifizierung des Verkehrs ist nicht nur wünschenswert, sondern unvermeidlich. Die Gründe sind vielfältig und komplex, aber in ihrer Summe überwältigend. Der Verbrennungsmotor hat keine Zukunft – nicht weil er technisch unausgereift wäre (nach 130 Jahren Entwicklung ist er hochoptimiert), sondern weil er fundamental unvereinbar mit den Klimazielen ist, zu denen sich nahezu alle Industrieländer verpflichtet haben.
Die Klimakrise erfordert drastische Reduktionen von CO2-Emissionen in allen Sektoren. Der Verkehr ist einer der größten Emittenten und bisher einer der Bereiche mit den geringsten Fortschritten. Selbst hocheffiziente moderne Verbrenner emittieren erhebliche Mengen CO2, und die Verbesserungen sind mittlerweile marginal – die Technologie nähert sich ihren physikalischen Grenzen. Synthetische Kraftstoffe, oft als Lösung genannt, sind energetisch ineffizient und in absehbarer Zeit weder in ausreichenden Mengen verfügbar noch kostengünstig genug für den Massenmarkt.
Elektrofahrzeuge sind bei Betrachtung des gesamten Lebenszyklus – von der Produktion über die Nutzung bis zum Recycling – selbst bei heutigem Strommix in den meisten Ländern klimafreundlicher als Verbrenner. Mit zunehmendem Anteil erneuerbarer Energien im Stromnetz verbessert sich diese Bilanz kontinuierlich. Ein Elektrofahrzeug, das heute produziert wird, wird über seine Lebensdauer zunehmend „grüner“, weil der Strom sauberer wird. Ein Verbrenner bleibt hingegen auf seinem Emissionsniveau.
Hinzu kommen Effizienzvorteile: Elektromotoren wandeln über 90% der Energie in Bewegung um, Verbrennungsmotoren nur etwa 20-30%. Diese physikalische Überlegenheit macht Elektrofahrzeuge langfristig wirtschaftlicher, auch wenn die Anschaffungskosten heute noch höher sind. Mit sinkenden Batteriepreisen wird dieser Vorteil zunehmend relevant.
Urbane Luftqualität ist ein weiterer Treiber. Stickoxide und Feinstaub aus Verbrennungsmotoren verursachen erhebliche Gesundheitsprobleme in Städten. Elektrofahrzeuge emittieren lokal keine Schadstoffe und tragen zu lebenswerteren Städten bei. Viele Metropolen weltweit planen oder haben bereits Verbrenner-Verbote in Innenstädten beschlossen.
Die regulatorische Entwicklung weltweit zeigt klar in Richtung Elektrifizierung. Die EU hat faktisch das Ende des Verbrenners für 2035 beschlossen, China fördert massiv Elektromobilität und selbst in den USA, traditionell Hochburg großer Verbrenner, steigen die Standards kontinuierlich. Hersteller, die nicht elektrifizieren, werden schlicht aus wichtigen Märkten ausgeschlossen.
Wasserstoff: Lösung für manche, nicht für alle
Wasserstoff wird oft als Alternative zur batterieelektrischen Mobilität genannt, doch eine differenzierte Betrachtung zeigt: Für PKW ist Wasserstoff wenig sinnvoll, für bestimmte andere Anwendungen jedoch durchaus relevant.
Die Gründe gegen Wasserstoff im PKW-Bereich sind primär physikalischer und ökonomischer Natur. Die Effizienz der gesamten Kette – von der Stromproduktion über die Wasserstofferzeugung durch Elektrolyse, Kompression, Transport, Speicherung bis zur Rückwandlung in Strom in der Brennstoffzelle – liegt bei etwa 25-30%. Batterieelektrische Fahrzeuge erreichen 70-80% Gesamteffizienz. Dieser massive Unterschied bedeutet: Für die gleiche Fahrstrecke wird beim Wasserstoffauto dreimal so viel Primärenergie benötigt.
Diese Ineffizienz schlägt sich in Kosten nieder. Grüner Wasserstoff, also mit erneuerbarem Strom erzeugter Wasserstoff, ist teuer in der Herstellung. Die notwendige Infrastruktur – Tankstellen mit Hochdruckspeichern und Kompressoren – ist aufwendig und kostspielig. Die Fahrzeuge selbst sind durch Brennstoffzelle, Drucktanks und zusätzliche Pufferbatterie komplex und teuer. All dies macht Wasserstoff-PKW wirtschaftlich unattraktiv im Vergleich zu batterieelektrischen Fahrzeugen.
Hinzu kommt das Henne-Ei-Problem der Infrastruktur: Ohne flächendeckendes Tankstellennetz kaufen Kunden keine Wasserstoffautos, ohne genügend Fahrzeuge lohnt der Aufbau der Infrastruktur nicht. Dieses Problem hat sich in über zwei Jahrzehnten nicht gelöst, während die Ladeinfrastruktur für Elektroautos rasant wächst.
Für schwere Nutzfahrzeuge – LKW, Busse, Baumaschinen – könnte Wasserstoff jedoch eine Rolle spielen. Bei langen Strecken und hohen Lasten erreichen Batterien Grenzen: Sie werden sehr schwer, reduzieren die Nutzlast, und lange Ladezeiten sind problematisch. Wasserstoff ermöglicht schnelles Betanken und hohe Reichweiten bei vertretbarem Gewicht.
Noch relevanter ist Wasserstoff für Schifffahrt und Luftfahrt. Große Containerschiffe und Flugzeuge können nicht mit heutiger Batterietechnologie betrieben werden – die Energiedichte ist zu gering. Hier könnten synthetische Kraftstoffe auf Wasserstoffbasis oder direkte Wasserstoffnutzung Lösungen bieten. Auch in der Schwerindustrie – Stahlproduktion, Chemie – ist Wasserstoff als Ersatz für fossile Energieträger wichtig.
Die Strategie sollte also differenziert sein: Batterieelektrisch für PKW und leichte Nutzfahrzeuge, Wasserstoff für Anwendungen, wo Batterien an Grenzen stoßen. Eine undifferenzierte Förderung von Wasserstoff im PKW-Bereich, wie sie in Deutschland lange betrieben wurde, verschwendet Ressourcen und verzögert die notwendige Elektrifizierung.
Aktuelle Herausforderungen der eMobilität in Deutschland
Trotz der Notwendigkeit und Überlegenheit der Elektromobilität steht Deutschland vor erheblichen Herausforderungen bei der Umsetzung. Diese Herausforderungen sind teils technischer, teils infrastruktureller und teils psychologischer Natur.
Die Ladeinfrastruktur ist unzureichend und ungleichmäßig verteilt. Während in Ballungsräumen die Dichte zunimmt, gibt es in ländlichen Regionen große Lücken. Besonders problematisch ist die Situation für Menschen ohne eigene Garage oder Stellplatz – also Millionen Mieter in Mehrfamilienhäusern. Straßenladen ist oft nicht verfügbar oder unpraktikabel. Schnellladenetzwerke wachsen, aber die Zuverlässigkeit ist oft problematisch, und verschiedene Betreiber mit unterschiedlichen Bezahlsystemen schaffen Komplexität.
Das Stromnetz ist für die Elektrifizierung nicht optimal vorbereitet. Wenn künftig Millionen Fahrzeuge gleichzeitig laden, besonders abends nach Feierabend, entstehen Lastspitzen, die das Netz überlasten können. Der Ausbau erneuerbarer Energien hinkt den Zielen hinterher, was die Klimabilanz der Elektromobilität schmälert und die Strompreise unter Druck setzt.
Die Anschaffungskosten von Elektrofahrzeugen sind trotz Fortschritten noch höher als vergleichbare Verbrenner. Subventionen haben dies teilweise ausgeglichen, aber deren Wegfall oder Reduzierung bremst die Nachfrage. Die Verfügbarkeit von Modellen im mittleren und unteren Preissegment ist begrenzt – deutsche Hersteller fokussieren oft auf hochpreisige Modelle mit hohen Margen.
Psychologische Barrieren sind nicht zu unterschätzen: Reichweitenangst, obwohl moderne Elektroautos 400-600 km schaffen, Sorgen um Batterielanglebigkeit, Unsicherheit über Wiederverkaufswerte und generelle Skepsis gegenüber neuer Technologie. Hinzu kommt gezielte Desinformation und negative Berichterstattung, die diese Ängste schüren.
Die Lieferketten für Batterierohstoffe sind problematisch. Lithium, Kobalt, Nickel – viele dieser Materialien werden unter ethisch fragwürdigen Bedingungen abgebaut, oft mit erheblichen Umweltschäden. Die Abhängigkeit von wenigen Förderländern schafft geopolitische Risiken. Batterierecycling ist noch nicht im notwendigen Umfang etabliert.
Kurzfristige Lösungen (1-3 Jahre) müssen pragmatisch sein: Ausbau der Ladeinfrastruktur mit Fokus auf Schnellladen an Verkehrsknotenpunkten und Wohnquartieren, vereinfachte Bezahlsysteme durch verpflichtende Interoperabilität, Anreizprogramme für private Wallboxen und deren Installation in Mehrfamilienhäusern, gezielte Kaufprämien für bezahlbare Elektromodelle im unteren und mittleren Preissegment, und massive Informationskampagnen zur Aufklärung über tatsächliche Leistungsfähigkeit und Kosten von Elektrofahrzeugen.
Mittelfristige Lösungen (3-7 Jahre) erfordern strukturelle Veränderungen: Intelligentes Lademanagement, das Ladevorgänge netzdienlich steuert und Lastspitzen vermeidet, bidirektionales Laden (Vehicle-to-Grid), das Elektrofahrzeuge als Stromspeicher nutzt und Netzstabilität erhöht, massiver Ausbau erneuerbarer Energien, besonders Windkraft und Photovoltaik, um den steigenden Strombedarf klimaneutral zu decken, Aufbau europäischer Batterieproduktion und Sicherung ethischer, nachhaltiger Lieferketten für Rohstoffe, sowie Förderung von Batterierecycling und Entwicklung von Batterien mit reduzierten kritischen Rohstoffen.
Langfristige Lösungen (7+ Jahre) zielen auf systemische Transformation: Weiterentwicklung der Batterietechnologie zu höheren Energiedichten, schnelleren Ladezeiten und längeren Lebenszyklen, möglicherweise durch Feststoffbatterien, Integration der Elektromobilität in ein ganzheitliches Energiesystem mit Sektorkopplung zwischen Verkehr, Gebäuden und Industrie, Entwicklung nachhaltiger Mobilitätskonzepte, die Elektroautos mit öffentlichem Verkehr, Sharing-Modellen und aktiver Mobilität verbinden, Etablierung einer vollständigen Kreislaufwirtschaft für Fahrzeuge und Batterien, und letztlich die Vision einer nahezu CO2-neutralen Mobilität.
Der Dieselskandal: Symptom einer tieferen Krise
Der Dieselskandal, der 2015 mit der Aufdeckung von Abgasmanipulationen bei Volkswagen begann und sich als weit verbreitete Praxis in der gesamten Industrie erwies, war mehr als ein isolierter Betrugsfall. Er war Symptom einer Industrie, die lieber betrügt als sich transformiert.
Die Gründe für diese fatale Entscheidung sind vielfältig. Kurzfristig war die Manipulation billiger als die Entwicklung echter Lösungen. Moderne Abgasreinigung, die die strengen Normen einhält, ist teuer, komplex und reduziert die Motorleistung. Statt in teure Technologie zu investieren oder die Grenzen der Verbrennertechnologie zu akzeptieren, wählte man den kriminellen Weg: Software, die erkennt, wann das Fahrzeug auf dem Prüfstand steht, und nur dann die volle Abgasreinigung aktiviert.
Diese Entscheidung reflektiert eine Unternehmenskultur, die kurzfristige Profite über langfristige Nachhaltigkeit und Legalität stellte. Die massive Investition in Dieseltechnologie – getrieben durch deutsche Überzeugung von der Überlegenheit dieser Technologie – sollte geschützt werden. Die Alternative – Eingeständnis, dass Diesel die Zukunft nicht sein kann, und radikaler Schwenk zur Elektrifizierung – erschien zu riskant und teuer.
Hinzu kam Hybris. Deutsche Hersteller sahen sich als technologisch überlegen und glaubten, die Regeln nach eigenen Bedürfnissen gestalten zu können. Die enge Verflechtung zwischen Automobilindustrie und Politik in Deutschland schuf ein Umfeld, in dem strenge Regulierung abgewehrt und Grenzwerte verwässert wurden. Man glaubte, unantastbar zu sein.
Die Konsequenzen waren verheerend: Milliarden an Strafzahlungen und Entschädigungen, massiver Reputationsschaden, und vor allem: verlorene Jahre. Statt die enormen Ressourcen, die in Dieseloptimierung und anschließende Skandalbewältigung flossen, in Zukunftstechnologien zu investieren, wurde das Kerngeschäftsmodell verteidigt. In genau diesen Jahren baute Tesla seine Führung aus und chinesische Hersteller beschleunigten ihre Elektrifizierung.
Der Skandal hätte ein Weckruf sein können – ein Moment, der radikale Transformation auslöst. Stattdessen wurde er als Problem behandelt, das man durch Strafzahlungen und PR-Kampagnen bewältigen kann, während man ansonsten weitermacht wie bisher. Diese Unfähigkeit zur Selbstkritik und grundlegenden Neuausrichtung ist vielleicht die größte Lehre des Dieselskandals.
Den Anschluss schaffen: Was jetzt notwendig ist
Wenn Deutschland im Bereich Elektromobilität den Anschluss an China schaffen will – oder realistischer: den Abstand nicht weiter wachsen lassen will – sind koordinierte Maßnahmen auf allen Ebenen erforderlich.
Politisch braucht es klare, langfristige Rahmensetzungen. Ein verbindlicher Ausstiegspfad für Verbrenner ohne Hintertüren schafft Planungssicherheit für Investitionen. Massive öffentliche Investitionen in Ladeinfrastruktur sind notwendig – nicht als Subvention für die Industrie, sondern als Infrastrukturprojekt vergleichbar mit dem Autobahnbau der Nachkriegszeit. Vereinheitlichung und Vereinfachung von Genehmigungsverfahren für Ladestationen und beschleunigter Netzausbau sind essentiell. Eine Reform der Kfz-Steuer, die CO2-Emissionen stärker berücksichtigt und Elektrofahrzeuge begünstigt, würde Anreize richtig setzen.
Die Forschungsförderung muss neu ausgerichtet werden. Statt weiter in die Optimierung von Verbrennungstechnologie zu investieren, sollten Batterieforschung, Leistungselektronik, Software und Systemintegration im Fokus stehen. Deutschland braucht eine eigene Batterieproduktion auf Weltmarktniveau – dies erfordert milliardenschwere Investitionen und langfristige Unterstützung, bis Skaleneffekte greifen.
Wirtschaftlich müssen deutsche Hersteller ihre Kostenstrukturen radikal überdenken. Die traditionell hohen Fixkosten durch umfangreiche Produktionsanlagen für Verbrennermotoren und Getriebe werden zu Ballast. Ein schnellerer, konsequenterer Umstieg auf Elektroantriebe reduziert diese Altlasten. Gleichzeitig erfordert dies schmerzhafte Entscheidungen über Standorte und Beschäftigung – aber ein verzögerter Strukturwandel macht die Probleme nur größer.
Die Preisgestaltung muss überdacht werden. Chinesische Hersteller bieten Elektrofahrzeuge zu Preisen an, die deutsche Premiumhersteller nicht erreichen können oder wollen. Es braucht überzeugende Angebote im Massenmarkt, nicht nur in Luxussegmenten. Dies erfordert möglicherweise neue Marken, die nicht durch Premium-Image belastet sind oder radikale Vereinfachungen in Ausstattung und Komplexität.
Technologisch muss die Software-Kompetenz im Eiltempo aufgebaut werden. Dies kann nicht durch traditionelle Konzernstrukturen gelingen. Ausgründungen mit Start-up-Kultur, aggressive Rekrutierung internationaler Talente mit konkurrenzfähigen Gehältern und Arbeitsbedingungen und möglicherweise Akquisitionen von Software-Unternehmen sind notwendig. Die Integration von Künstlicher Intelligenz in alle Fahrzeugsysteme muss Priorität werden.
Steuerlich könnten verschiedene Anreize helfen: Befristete Mehrwertsteuersenkungen für Elektrofahrzeuge im unteren Preissegment, steuerliche Förderung von Firmenwagenflotten bei vollständiger Elektrifizierung und Abschreibungserleichterungen für Unternehmen, die in Ladeinfrastruktur investieren.
Können alte Werte neue Stärken schaffen?
Deutschland ist bekannt für Ingenieurskunst, Präzision, Qualität und technologische Innovation. Diese Werte haben die Automobilindustrie über Jahrzehnte zu Weltruhm geführt. Die Frage ist: Können diese traditionellen Stärken auch im Zeitalter der Elektromobilität einen Wettbewerbsvorteil schaffen?
Die Antwort ist differenziert. Einerseits sind viele traditionelle Kompetenzen hochrelevant: Elektrofahrzeuge mögen weniger mechanisch komplex sein, aber das Zusammenspiel von Batterie, Elektromotor, Leistungselektronik, Wärmemanagement und Fahrwerk erfordert präzises Engineering. Deutsche Ingenieurskunst in der Fahrzeugdynamik, Sicherheit und Fertigungsqualität bleibt wertvoll. Die Kompetenz in der Produktion hochkomplexer Systeme mit engen Toleranzen ist ein Asset.
Andererseits reichen diese Fähigkeiten allein nicht mehr aus. Software ist mindestens ebenso wichtig wie Hardware, und hier fehlt es an Tradition und Kultur. Die deutsche Ingenieurskultur – gründlich, perfektionistisch, auf langfristige Entwicklungszyklen ausgerichtet – passt nicht zur agilen, iterativen Software-Entwicklung. Die Bereitschaft, „gute genug“-Lösungen schnell auf den Markt zu bringen und durch Updates zu verbessern, widerspricht dem traditionellen Anspruch, nur ausgereifte Produkte zu liefern.
Ein Besinnen auf „alte Werte“ kann also hilfreich sein, wenn es richtig interpretiert wird. Was deutsche Ingenieurskunst im Kern ausmacht, ist nicht die spezifische Technologie (Verbrennungsmotor), sondern die Herangehensweise: systematisches Problemlösen, tiefes technisches Verständnis, Streben nach Exzellenz. Diese Prinzipien sind übertragbar auf Elektromobilität – wenn die Bereitschaft besteht, neue Kompetenzen zu erwerben und alte Gewissheiten zu hinterfragen.
Kritisch ist die Innovationskultur. Deutsche Unternehmen sind oft risikoavers, hierarchisch und prozessorientiert. Innovation entsteht aber aus Experimentieren, Scheitern-dürfen und schnellen Iterationen. Hier können deutsche Unternehmen von Start-up-Kulturen lernen, ohne ihre Stärken in Qualität und Zuverlässigkeit aufzugeben. Die Integration beider Ansätze – deutsche Gründlichkeit mit Silicon-Valley-Agilität – wäre ideal, ist aber kulturell herausfordernd.
Digitalisierung und KI als Rettungsanker
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz könnten tatsächlich zentrale Stützpfeiler für eine Renaissance der deutschen Automobilindustrie werden – wenn sie richtig eingesetzt werden.
Moderne Fahrzeuge sind softwarebasierte Plattformen. Over-the-Air-Updates ermöglichen kontinuierliche Verbesserung nach dem Verkauf – ein fundamentaler Wandel vom statischen Produkt zum evolvierbaren Service. Deutsche Hersteller müssen diese Fähigkeit beherrschen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Software wird zunehmend zum Differenzierungsmerkmal: von Infotainment über Assistenzsysteme bis zu Energiemanagement.
Künstliche Intelligenz eröffnet vielfältige Möglichkeiten. Im Fahrzeug selbst ermöglicht KI fortgeschrittene Assistenzsysteme und perspektivisch autonomes Fahren. Maschinelles Lernen optimiert Energiemanagement, lernt Fahrgewohnheiten und maximiert Reichweite. Prädiktive Wartung durch KI-Analyse von Sensordaten kann Ausfälle vorhersagen und Servicekosten reduzieren.
In der Produktion kann KI Qualitätskontrolle, Prozessoptimierung und vorausschauende Instandhaltung verbessern. Deutsche Stärke in Industrie 4.0 und Automatisierung kombiniert mit KI könnte hocheffiziente, flexible Produktionssysteme schaffen.
Im Geschäftsmodell ermöglicht Digitalisierung neue Ansätze: Fahrzeuge als Plattform für Dienste, abonnementbasierte Modelle und integrierte Mobilitätsökosysteme. Datenanalyse kann Kundenbedürfnisse besser verstehen und personalisierte Angebote schaffen.
Entscheidend ist, dass KI und Digitalisierung nicht als Add-on verstanden werden, sondern als Kernkompetenz, die das gesamte Geschäftsmodell durchdringt. Dies erfordert massive Investitionen in Talente, Infrastruktur und die Bereitschaft, traditionelle Strukturen aufzubrechen.
Deutschland hat durchaus Potenzial in diesem Bereich: starke Forschungsinstitutionen in KI und Informatik, eine wachsende Tech-Start-up-Szene, und Kompetenz in der Anwendung von KI in industriellen Kontexten. Die Herausforderung liegt in der Skalierung und der schnellen Umsetzung in marktfähige Produkte. Hier sind chinesische und US-amerikanische Akteure derzeit voraus aber der Rückstand ist nicht uneinholbar – wenn jetzt entschieden gehandelt wird.
Die Integration von Edge Computing in Fahrzeugen, Cloud-basierte Services, und KI-gestützte Entwicklungsprozesse könnten deutsche Hersteller wieder an die Spitze bringen. Aber dies erfordert eine kulturelle Transformation: weg von Hardware-zentrischer Denkweise hin zu einer integrierten Hard- und Software-Philosophie, in der digitale Kompetenzen gleichberechtigt neben mechanischem Engineering stehen.
Fazit: An der Weggabelung
Die deutsche Automobilindustrie steht an einem historischen Wendepunkt. Die drei skizzierten Szenarien – schleichender Niedergang, schmerzhafte Konsolidierung oder erfolgreiche Neuerfindung – sind alle realistisch. Welches Szenario eintritt, wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren entschieden.
Die Herausforderungen sind immens: technologischer Rückstand in Batterien und Software, aufstrebende Konkurrenz aus China, strukturelle Probleme durch Fixierung auf veraltete Geschäftsmodelle und die Notwendigkeit massiver Investitionen bei gleichzeitigem Erhalt der Profitabilität. Der Dieselskandal hat Jahre gekostet und Vertrauen zerstört. Die zögerliche Elektrifizierung hat Wettbewerbern Vorsprünge verschafft, die nur schwer aufzuholen sind.
Doch es gibt auch Hoffnung. Deutschland verfügt über außergewöhnliche Ingenieurskompetenzen, starke Marken mit globaler Anziehungskraft, leistungsfähige Zulieferer, exzellente Forschungseinrichtungen, und die finanzielle Stärke für notwendige Investitionen. Die Frage ist, ob der Wille zur radikalen Transformation vorhanden ist.
Das optimistische Szenario erfordert schmerzhafte Entscheidungen: Abschied von liebgewonnenen Traditionen, Akzeptanz, dass China in manchen Bereichen überlegen ist und man von dort lernen muss, massive Umschichtung von Ressourcen in neue Kompetenzen, und die Bereitschaft, kurzfristige Profite zugunsten langfristiger Wettbewerbsfähigkeit zu opfern.
Die Politik muss ihre Rolle überdenken – weg von der Verteidigung des Status quo hin zur Ermöglichung von Transformation. Die Industrie muss ihre Komfortzone verlassen und riskieren, Fehler zu machen, schnell zu lernen und sich anzupassen. Die Gesellschaft muss akzeptieren, dass Wandel schmerzhaft ist und nicht alle Arbeitsplätze in ihrer jetzigen Form erhalten werden können, aber dass rechtzeitiger Wandel bessere Chancen bietet als verzögertes Handeln.
Die Zeit drängt. Während Deutschland diskutiert und zögert, schaffen andere Fakten. Jeden Monat, in dem chinesische Hersteller ihre Marktanteile ausbauen, Tesla seine Produktionskapazitäten erweitert und sich neue Technologien etablieren, wird der Vorsprung größer und schwerer aufzuholen.
Wenn Deutschland als „industrielle Legende“ nach Jahrzehnten der Dominanz scheitert, den Übergang in die elektrifizierte, digitalisierte Zukunft zu meistern – wäre dies dann das Ende einer Ära, das hätte verhindert werden können oder der unvermeidliche Abstieg einer Industrie, die den Mut zur Transformation zu spät fand?
