Oder: Das ungeschriebene Gesetz der unerschütterlichen Fassade
Von Joerg S. – und nein, S. steht nicht für Superhero
Es gibt diese Menschen, die morgens aufwachen und aussehen, als hätten sie gerade einen Werbespot für Lebensfreude gedreht. Die, deren Social-Media-Profile aussehen wie ein endloser Highlight-Reel aus Erfolg, Strahlkraft und dieser mysteriösen „positive Energy„. Superhelden eben. Coaches. Führungspersönlichkeiten. Menschen, die andere inspirieren, motivieren, weiterbringen.
Und dann gibt es da dieses kleine, schmutzige Geheimnis, über das niemand gerne spricht: Auch diese Menschen haben verdammt schlechte Tage.
Die Tyrannei der ständigen Stärke
Stellen wir uns mal vor: Superman hat Kopfschmerzen. Wonder Woman ist genervt, weil ihr Kaffee kalt geworden ist. Und Ironman? Der hatte einfach eine schlaflose Nacht, weil ihn existenzielle Gedanken über den Sinn des Lebens geplagt haben. Klingt absurd? Ist es aber nicht.
Das Problem ist nur: Niemand will den Superhelden sehen, der gerade keinen Bock hat. Die Gesellschaft – und oft genug wir selbst – haben dieses ungeschriebene Gesetz verinnerlicht: Wer nach außen stark ist, darf keine Schwäche zeigen.
Und warum nicht? Nun, die Gründe sind so vielfältig wie ein gut sortiertes Buffet:
- Die Projektionsfläche: Menschen projizieren auf „starke“ Persönlichkeiten ihre Hoffnungen, ihre Bedürfnisse nach Orientierung. Ein Coach, der selbst zweifelt? Ein Superheld mit Selbstzweifeln? Das passt nicht ins Bild.
- Das Impostor-Syndrom: Viele erfolgreiche Menschen denken insgeheim: „Wenn die wüssten, dass ich auch nur improvisiere…“ Die Angst, als Hochstapler entlarvt zu werden, lässt keinen Raum für Schwäche.
- Der Professionalisierungsdruck: „Ich bin doch der Coach! Ich muss mein Leben im Griff haben!“ Als würde die Berufsbezeichnung einen vor menschlichen Emotionen schützen.
- Die Verantwortung: Wenn andere von dir abhängig sind, fühlst du dich verpflichtet, der Fels in der Brandung zu sein – auch wenn du gerade eher ein wackeliger Kieselstein bist.
Coaches: Die professionellen Lebensretter mit Achillesferse
Besonders spannend wird es bei Coaches. Deren Kernaufgabe besteht ja darin, anderen Menschen zu helfen, sich an Scheidewegen zurechtzufinden. Sie sind die „Wegweiser“, die Leuchttürme, die Mentoren. Menschen kommen zu ihnen mit ihren Problemen, Unsicherheiten, Ängsten – und erwarten (verständlicherweise) Klarheit, Struktur, Lösungen.
Aber – und hier wird’s ironisch – wer hat eigentlich beschlossen, dass ein Coach kein Recht auf einen schlechten Tag hat?
Die Wahrheit ist: Ein Coach ist zunächst einmal ein Mensch. Mit allem, was dazugehört. Zweifel. Müdigkeit. Frustration. Vielleicht sogar mal das Bedürfnis, selbst gecoacht zu werden. („Ja, auch Coaches brauchen Coaches.“)
Bei mir und AKAYO ist das nicht anders. Auch wir haben Tage, an denen die Welt sich anfühlt wie ein besonders zähes Kaugummi am Schuh. Tage, an denen Projekte nicht vorangehen, an denen Kommunikation schwierig ist, an denen einfach alles ein bisschen… meh ist. Und wisst ihr was? Das ist völlig in Ordnung.
Denn die Qualität eines Coaches – oder jeder Führungspersönlichkeit – zeigt sich nicht darin, niemals zu straucheln, sondern darin, wie man mit diesen Momenten umgeht. Darin, dass man trotz dieser Tage weiterhin für andere da sein kann, weil man gelernt hat, auch für sich selbst da zu sein.
Offenheit ist keine Schwäche – sie ist verdammt mutig
Hier kommt der vielleicht wichtigste Punkt: Offenheit über die eigene Verletzlichkeit ist keine Schwäche. Sie ist Stärke in ihrer ehrlichsten Form.
Warum? Ganz einfach:
1. Authentizität schafft Verbindung: Menschen vertrauen nicht Perfektion, sondern Echtheit. Ein Coach, der zugibt, auch mal ratlos zu sein, wird nahbarer – und damit wirkungsvoller.
2. Vorbildfunktion: Wenn wir zeigen, dass es okay ist, traurig, gestresst oder überfordert zu sein, geben wir anderen die Erlaubnis, das Gleiche zu tun. Wir brechen die Spirale aus toxischer Positivität.
3. Mentale Gesundheit: Gefühle zu unterdrücken macht krank. Wer ständig stark sein muss, baut einen Druck auf, der irgendwann entlädt – oft auf ungesunde Weise.
4. Realitätscheck: Niemand ist 24/7 on top of the world. Das vorzugeben ist nicht nur unehrlich, es ist auch schlicht… ermüdend. Für einen selbst und für andere.
Traurigkeit zu zeigen ist nicht das Eingeständnis von Versagen. Es ist das Eingeständnis von Menschlichkeit. Und gerade in einer Welt, die uns ständig suggeriert, wir müssten „funktionieren“ wie gut geölte Maschinen, ist Menschlichkeit revolutionär.
Die Schlusspointe: Eine Frage zum Nachdenken
Am Ende bleibt eine Frage, die wir alle uns stellen sollten – egal ob Superheld, Coach, Führungskraft oder einfach nur Mensch:
Wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der nur die Starken existieren dürfen – oder ist es nicht viel erstrebenswerter, eine Welt zu schaffen, in der die Starken auch mal schwach sein dürfen, ohne ihre Daseinsberechtigung zu verlieren?
Denk mal drüber nach. Gerne auch an einem schlechten Tag.
Dr. Joerg Schmidt & AKAYO – weil auch wir Menschen sind. Meistens jedenfalls ;-)))
